In Deutschland noch gar nicht in den Kinos (ab 19. März) entfachte der Film „Slumdog Millionaire“, der als einer der heißtesten Oscar-Kandidaten (10 Nominierungen) gilt, im Ausland eine kulturelle Debatte, die Ende Januar darin kulminierte, dass der Produktionfirma, „Fox Searchlight“ und Danny Boyle, dem Regisseur, vorgewurfen wurde, indische Kinder aus Slums wirtschaftlich auszubeuten.

Slumdog Millionaire, erzählt die Geschichte von einem (ehemaligen) indischem Slumjungen (vulgo: Slumdog), der bei „Wer wird Millionär“ teilnimmt, um seine große Liebe wiederzugewinnen, und alle Antworten weiß, den hinter jeder Antwort steht eine Geschichte. Der kindliche Slumdog und dessen Freundin wird dabei von zwei echten indischen Slumkindern verkörpert: Rubina Ali und Azharuddin Ismail.

Der britische Daily Telegraph berichtete Ende Januar nun, die beiden Kinder würden immernoch in Armut leben, was angesichts des Erfolges des Films eine Schlagzeile ist. Um es abzukürzen: Sie haben einmalig 2400 bzw. 800 Dollar erhalten, (ursprünglich) kein Haus (was die Eltern kritisieren) und monatliche 20 Pfund für Schule und Essen. Sollten sie die Schule bestehen, erhalten sie eine größere Summe (über deren genaue Höhe sich Fox ausschweigt). Die offizielle Darstellung besagt, es sei von Anfang an ein langfristiger Plan gewesen, den Kinder für lange Zeit im Leben zu helfen, die Entscheidung sie in den Slums und ihrer Community zu belassen eine moralische (mehr dazu in einem ABC-Radio-Interview mit Danny Boyle).

Hintergrund dieser Geschichte ist eine kulturelle Debatte und eine „Schmutzkampagne“ gegen Slumdog Millionaire, zumindest wenn man Pete Hammond von der L.A. Times glaubt:

Most of the damning allegations are being hurled against Fox Searchlight’s „Slumdog Millionaire,“ rather obvious since the film is the unquestioned front-runner and an easy target for rivals.

As noted earlier in this column, forces were at work in India trying to disparage Danny Boyle’s surprise hit and awards magnet leading to a front page L.A. Times story last Saturday pointing out some of the negative criticism essentially saying the film is a „white man’s“ vision of a slum-ridden India.

Danny Boyle selbst empfindet „Slumdog“ vor allem als „Feelgood-Movie“, wie er sagt (siehe verlinktes Interview), was aus moralischer Perspektive bedenklich erscheinen mag, stellt es doch Kinder in Armut dar. Und natürlich, so sagen einige, ist es mal wieder die westliche Version über das Leben (und die Probleme) in Indien (was wiederum die Inder selbst erzürnt).

Alice Miles von der London Times schreibt:

And it is set not in the West but in the slums of the Third World. As the film revels in the violence, degradation and horror, it invites you, the Westerner, to enjoy it, too. Will they find it such fun in Mumbai?

[…] Slumdog Millionaire is not a million miles away from a form of pornographic voyeurism. A Thousand Splendid Suns is obsessed with rape and violence against women, the reader asked to pore over every last horrible detail. Slumdog Millionaire is poverty porn.

Der Blogger Patrick Goldstein, sieht in der mit dem Erfolg von Slumdog aufkommenden Kritik (vermutlich unter der Prämisse, dass Slumdog gar kein sozialkritischer, sondern vor allem ein künstlerischer und fantasievoller Film sein will, sehe Boyle) einen typischen Kritikerreflex auf (zu großen) Erfolg von (popkulturellen) Werken, eine zu erwartende Gegenreaktion:

Today’s critics, who are invariably the torch bearers of the backlash posse, are suspicious, if not openly hostile, of any piece of art that is granted too much widespread — i.e. uncritical — public acceptance. In fact, the „Slumdog“ crew should take the whole thing as a back-handed compliment, since you have to be incredibly successful even to inspire a backlash. No one would bother to launch an attack on a tiny cult classic or an obscure art film — it’s the picture’s very popularity that inspires a critical counter-attack.

Deshalb empfiehlt Goldstein Kinogängern und Kritiker:

Whether you’re a critic or simply a loyal fan, when you see a film that rocks your world, don’t second guess your instincts. There’s nothing wrong with love at first sight.

Das soll sie dann wohl sein, die Art und Weise, wie Kulturkritik und Filmkritik (oder jegliche Kritik) im goldsteinschen Sinne zu funktionieren hat: Gut ist, was gefällt.

Damit ist auch der popkulturelle Erfolg von Slumdog Millionaire gut beschrieben. Wer damit klarkommt, wird Slumdog lieben, alle anderen schauen vielleicht lieber Chop Shop, einen kleinen, unaufgeregten und authentischen Film über einen Straßenjungen, der von einem eigenen Imbiswagen träumt.