Am 23. März erscheint ein Buch mit dem Titel „Die Alphajournalisten 2.0“. Darin, so schreibt der Herausgeber, porträtieren die Autoren „die neuen Stars der deutschen Medien- und Journalistenszene: Die “next Generation” des Journalismus arbeitet vor allem als Web-Kolumnist, Blogger und Online-Chef – und erst nebenher als Blattmacher, Buchautor oder TV-Moderator.“

Einer der portraitierten ist Stefan Niggemeier. In der taz erschien am Freitag ein Vorabdruck des Portraits über Stefan Niggemeier. Darin ist ein Absatz enthalten, der bei den Bloggern Weltherrscher und lanu für Aufregung sorgte:

Hat er nicht Angst vor all den großen Namen – vor Springer, vor Broder, vor jenen, die einen Vitaminpromotor wie Hademar Bankofer beschäftigen, der medizinische Weisheiten verkündet, deren Haltlosigkeit Niggemeier ebenfalls enthüllte, auf dass der sogenannte Fernsehdoktor in der ARD nicht mehr praktizieren konnte? Nein, „Angst“, sagt er, „habe ich nur manchmal vor den Folgen meiner eigenen Veröffentlichungen, nicht vor den großen Namen“

Es geht wohl um diese Texte in Niggemeiers Blog, die erschienen nachdem ein Blogger namens hockeystick bei der BooCompany auch auf die kommerziellen Verwicklungen von Hademar Bankhofer hingewiesen hat. Niggemeier verweist in beiden Blogartikeln selbst darauf, dass die Bankofer Geschichte auf Recherchen von Boocompany und Stationäre Aufnahme zurückgeht. Das Buch aber, es schreibt ihm dies als eigene Journalistische/Rechercheleistung zu.

Bemerkenswert finde ich in diesem Zusammenhang auch diesen Absatz des Artikels aus dem Portrait:

Was sagt Niggemeier selbst über diese Zuschreibung? „Alphajournalist? Ich wäre kokett, wenn ich sagen würde, nein, dazu werde ich gar nicht gezählt oder das Label ginge an mir vorbei. Aber je größer die Etiketten, umso häufiger ertappe ich mich bei dem Gedanken, dass die Leute das gegen mich verwenden – und irgendwann irgendeiner merkt, dass ich auch nur mit Wasser koche. Der Niggemeier – ein Faker!“ Eine Angst, die viele Journalisten kennen mögen – und bei Niggemeier klingt es sogar ein wenig frivol. Er ist doch bekannt als sattelfester Rechercheur.

Es ist bei vielen von Niggemeiers Coups tatsächlich so, dass sie weniger auf sattelfester Recherche beruhen, als mehr auf der Arbeit anderer, sie aber hauptsächlich auf Stefan Niggemeier positiv zurückwirken. Auch Niggemeiers „Enthüllungen“ um die TV-Gewinnspielveranstalter 9Live und Callactive beruhen zu großen Teilen auf der Arbeit obsessiver Nutzer eines Forums, dass Bildausschnitte akribisch sammelt. Und auch der letzte große Coup des Bildblogs, die Geschichte mit dem falschen Vornamen des neuen Wirtschaftsministers, beruht nach Aussage von Niggemeier auf der Arbeit eines externen (wie wir aus der Zeit erfuhren: Studenten), der mit Bildblog ansich nichts zu tun habe. Die Lorbeeren ernetet letztlich aber das Bildblog (was dem Studenten in dem Fall aber nicht stören dürfte, wenn es ihn denn gibt), worüber sich Niggemeier auf seinem Blog freut. In der öffentlichen Wahrnehmung wird diese kritische „Enthüllung“ zu den strukturellen Problemen und journalistischen Mängeln vieler Medien, früher oder später – das würde nicht verwundern – dem Bildblog und Niggemeier zugeschrieben. Dabei sammelt, sortiert und aggregiert Niggemeier hauptsächlich, soweit es seine Internetbezogene Arbeit und Publikation betrifft. Als oft auch popkultureller Journalismus-Unternehmer hat es Niggemeier zu einem Geschäftskonzept gemacht, das was im Internet oft ohne ökonomische Absichten journalismusähnlich recherchiert und enthüllt wird, auszuwerten, anzureichern, zu erläutern und einer breiteren Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Das ist gut und schlecht zugleich.

Niggemeier sagt, in diesem Portrait, er wolle nicht ideologisch sein (auch darüber könnte man im Falle der Bildzeitung diskutieren: kann es zu ihr überhaupt einen anderen Standpunkt als einen ideologischen geben, und wenn ja, macht dieser sie dann nicht besser als sie ist?), er wolle das Bild über die Bild „schlechter Geschmack“ aber „verlässliche Recherchen“ (Wo kommt denn das her?) entmystifizieren, das Bildblog sammelt nur Argumente, sagte er mal an anderer Stelle. Aber wer entmystifiziert Stefan Niggemeier (und ist das überhaupt nötig?), der, und das wissen wir nach dem Text aus dem Journalisten-Buch völlig unkritisch hofiert wird, vielleicht auch, weil es ja einen geben muss, unter ihnen, den Journalisten, die sie alle übereinander schreiben, der auch gut ist, der das Ideal des guten Journalisten hochhält?

Wenn in so einem Buch in einem Artikel über einen der als idealistisch, recherchesicher, angstfrei und distanziert (im positiv journalistischem Sinne) beschrieben wird, selbst diese Distanz nicht gewahrt wird, sondern hoffnungslos gelobhudelt wird und obendrauf auch nochweislich falsche Sachen stehen, dann hat das zweifelsohne einen faden Beigeschmack. Man soll Botschaft und Sender nicht verwechseln. Ob einer, der immer sagt, was die anderen alles falsch machen, nicht auch mal Fehler machen kann oder soll, darüber liese sich streiten. Wenn es diese Fehler gibt, und Niggemeier nicht nur der große Idealist und unerschrockene David der Medienwelt ist, dann sollte man das wissen. Aus dem Buch „Die Alphajournalisten 2.0“ erfährt man es jedenfalls nicht.

Nachtrag 15.2.: Inzwischen haben noch weitere Blogs berichtet: Chris (F!xmbr) setzt den aktuellen Vorfall in einen größeren Zusammenhang der gesamten Kritik an Stefan Niggemeier und nennt Niggemeier einen Sonnenkönig. Cartagena findet auch, das Niggemeier die Lorbeeren für anderer Leute Arbeit einheimst. ugugu findet, Niggemeier sollte deutlich Stellung beziehen. Derselben Ansicht ist oldman. Und Martina Kausch findet schon seit gestern, dass sich lanu zu Recht ärgert. Unaufgeregter, präzise und stilsicher schreibt das Blog „A Better Tomorrow“ über die Rampensau Niggemeier und den deutschen Kumpeljournalismus.

Nachtrag 16.2.: Die taz hat inzwischen den Fehler im Text korrigiert: „Anmerkung der Redaktion: Ursprünglich hatten wir geschrieben, dass Niggemeier auch die „Haltlosigkeit der medizinischen Weisheiten“ eines Hademar Bankhofer „enthüllte“, der daraufhin nicht mehr in der ARD praktizieren konnte. Die Enthüllungen über Bankhofer stammen aber nicht von Niggemeier, sondern von den Bloggern von ‚Stationäre Aufnahme‘.“

Nachtrag 28.4.: Wie mir ein Käufer des Buchs „Die Alphajournalisten 2.0“ inzwischen getwittert hat, ist der Fehler auch im Buch korrigiert wurden.