bga

Imagine a world without grown ups. A world governed by children. Where every decision is made by a ten year old.

Das ist die Prämisse von Channels 4s neuster Reality Show „Boys and Girls alone“, einer vierteiligen Serie (immer dienstags), in der 20 Kinder (10 Jungen, 10 Mädchen) in zwei nach Geschlechtern getrennten Dörfern auf sich gestellt leben sollen. Ein soziales Experiment könnte man sagen, wissend allerdings, das ökonomische Motive eine Rolle spielen.

Dieser Ansatz ist nicht neu. Bereits 2007 schickten Endemol und CBS für die Reality „Kid Nation“ 40 Kinder zwischen zwischen 8 und 15 in die amerikanische Wüste. In einem dort angelegten Dorf sollten sie in drei Klassen (Arbeiter, Händler, Reiche) geteilt eine funktionierende Gesellschaft auf die Beine stellen mit einer eigenen Regierung. Den Rahmen bildete eine an Survivor erinnerende Reality-Gameshow mit den üblichen Spielchen und ein regelmäßig stattfindender Stadtrat.

Im Gegensatz zu „Kid Nation“ gibt es für die Kinder in „Boys and Girls alone“ erstmal keinerlei Vorgaben. Genau wie in „Herr der Fliegen“ (Roman, Jungs auf verlassener Insel) soll sich hier wohl in einer (simuliert) anarchischen Situation ohne klare Aufgaben und Vorgaben wohl der wahre (kindliche) Charakter zeigen und zu Konflikten führen. Motto: Kinder können grausam sein – hier dürfen sie es.

Schon 2007 gab es natürlich reichlich Kritik an „Kid Nation“, das später allerdings für einen Emmy nominiert wurde. Neben der Frage ob Gesetze zur Kinderarbeit umgangen wurden und die Kinder in ihrer Sicherheit gefährdet seien (Quelle), spielten natürlich auch grundsätzliche moralische Kritikpunkte eine Rolle:

„Kid Nation“ is only the latest program to use kids as fodder for fun and profit, which doesn’t make the trend any less disturbing. (Brian Lowry, Variety 2007)

Und natürlich ist eine solche Form der Kritik auch wieder (reflexartig) im Falle von Channel 4s Reality zu finden:

Thanks, but I won’t be tuning in to witness innocent children made to behave like rats in a cage for the delectation of moneygrubbing Channel 4 bosses who continue to reap the seemingly endless harvest of reality TV shows for commercial gain. (Sue Carrol, Mirror UK 2009)

In der ersten Episode geschieht dann auch genau das, was wohl passieren soll. Die Jungs führen erstmal Wasserpistolen-Krieg, haben Hunger, können aber nicht kochen und streiten sich, zwei gehen gar mit einer Harke aufeinander los (der Kameramann schreitet ein). Die Mädchen zicken sich gegenseitig an, kochen aber, jedoch nicht für alle, was zu Streit führt. Auf beiden Seiten wird viel geheult.

Als Kinder Big Brother bezeichnet die Welt „Boys and Girls alone“ und meint, es sei grausamer als das Original (zeigt aber das Bild eines weinenden Jungen, ich hab mich hier für eine symbolischere, anonymere Darstellung aus der Show entschieden). Dabei ist Big Brother zumindest als Darstellungsform falsch. Aus der Big Brother-Perspektive, wie wir sie aus dem TV kennen, sehen nur Produktion, Betreuer und Eltern die Kinder (die permanent überwachen und einschreiten können). Der Zuschauer bekommt sie statt dessen im Doku–Soap-Stil präsentiert. Erwachsene in Form von Kameramännern sind bei all den (vermeintlich) grausamen Szenen, die wir zu sehen bekommen immer anwesend, was schon bei „Kid Nation“ einiges an Kritik entkräftete.

Der Unterschied zu „Kid Nation“ allerdings ist, dass hier die Szenen echter, rauer, authentischer und brutaler wirken. Die englischen Kinder wirken anders als die amerikanische weniger wie Kinderschauspieler, die in einer gescripteten Reality Show mit dramaturgischen Vorgaben agieren, sondern tatsächlich wie gemeine oder verzweifelte kleine Bälger, die ohne elterliche Aufsicht in einer Art Naturzustandsimulation leben. Am Ende der ersten Folge müssen dann schließlich die Eltern in die Dörfer um schlimmeres zu verhindern und die kleinen „Wölfe“ mal in den Arm zu nehmen (worauf wieder geweint wird). Ein Junge verlässt schließlich das Dorf, nachdem er schon am Vortag als erster Kontakt zur Mutter hatte und flehte, dass er nach Hause will (mit einem warmen Essen konnte er allerdings beruhigt werden).

„Boys and Girls alone“ ist genau wie viele andere Channel 4 Realities (Make me a Muslim, The Secret Millionaire) mehr „Schein als Sein“ was seine ach so ernstgemeinte Botschaft/Anliegen betrifft (etwa: Können die Kinder eine bessere Welt schaffen?). Nach einer Folge sieht es so aus, als würde es darauf hinaus laufen, dass Kinder keine besseren Menschen (eher unfertige Menschen) sind, was eine akzeptable Leistung (wenn auch zynische) der Doku wäre. Bei „Make me a Muslim“ sah es bis zu einer Episode vor Schluß so aus als würden eine echte Konvertitin und eine Islamkritische bis zum letzten streiten. Außer ausgerechnet einem Schwulen mochte sich keiner für den Islam langfristig so recht begeistern. Am Ende gabs Friede, Freude, Eierkuchen und politische Korrektheit. Ich bin gespannt wie es hier sein wird.

Die erste Episode erreichte am Dienstag abend 2,4 Millionen britische Zuschauer und einen Marktanteil von etwa 10 Prozent. Ähnlich wie bei Kid Nation sind das eher schwache Quoten für die Kinder-Reality.